Die Töne der Seele und die Hörende Gesellschaft
Die Biographie der bekannten nordamerikanischen Sozialaktivistin, Schriftstellerin und Rednerin, Helen Keller (1880-1968) ist des Respekts und Lobes würdig. Obwohl es bekannt ist, dass sie mit 18 Monaten blind und stumm wurde, hat sie sich dennoch, mit der unverzichtbaren Unterstützung ihrer Freundin und Lehrerin, Anne Sullivan Macy (1866-1936), zu einer der wichtigsten Ikonen im Kampf um Lebensqualität derjenigen Menschen entwickelt, die an einer Behinderung leiden. Einer ihrer Gedanken den ich am meisten bewundere besagt: „Solange die große Mehrheit der Menschen nicht vom Sinn der Verantwortung für das Wohlergehen aller erfüllt ist, wird soziale Gerechtigkeit niemals erreicht werde“.
Mut und Beharrlichkeit
Gleichwohl Geschichten wie diese ihren Reiz ausüben, so täuschen sich doch diejenigen, die meinen es handle sich hierbei nur um sporadische Anwandlungen von menschlichem Mut und Beharrlichkeit. In Wahrheit lassen sich Beispiele, wie die Helens, überall finden, nicht selten im Alltag. Im Bezug auf Menschen die ihr Gehör verloren haben, so gibt es augenblicklich in Brasilien fast 6 Millionen Menschen die taub sind.
In einem Interview, das Daniel Guimarães im Programm Solidarische Gesellschaft, im Sender Guter Wille TV mit den Schauspielern Sueli Ramalho und Rimar Segala, einem von Geburt auf stummen Geschwisterpaar führte, erzählten diese von ihren guten Erfahrungen im Verlauf ihres Lebens.
Auf die Frage, wie sie denn dem Fehlen von Tönen in ihrer Kindheit gegenüber stand, antwortete Sueli: Ich bin ein Kind gehörloser Eltern und von väterlicher Seite her ist auch der Großvater und Urgroßvater taub gewesen. Für mich war dies also normal. Meine Muttersprache ist immer die Zeichensprache gewesen. Ich dachte immer, dass die Welt dort draußen behindert sei. Die Kinder auf der Straße haben uns unendlich leid getan, denn wir dachten immer, sie würden den Mund bewegen weil sie Hunger hätten, weil sie kein Bonbon oder Kaugummi im Mund hatten. Was für eine eigenartige Welt, in der es kein Kaugummi gab? [Gelächter] Ich wollte allen Menschen beibringen mit den Händen zu reden. Das war mein vorherrschender Gedanke“.
Rimar Segala, dessen Gesten von seiner Schwester übersetzt werden, merkt dazu an: „Suelis Erfahrung war eine andere als meine. Obwohl wir beide taub sind, ist unsere Kommunikation total unterschiedlich. Sueli hat [mit der Hilfe von Geräten] sprechen gelernt. Ich selber aber kann es noch nicht. Ich würde wirklich gerne mit der hörenden Gesellschaft [Ausdruck der für die normal hörenden Menschen benutzt wird] sprechen können“. Sueli fügt hinzu: „Es war schwer die portugiesische Sprache zu lernen. Ich habe viele Jahre gebraucht um zu lernen mit der hörenden Gesellschaft zu kommunizieren, denn unsere Hilfsmittel sind absolut visuell. Bis heute tue ich mich mit der portugiesischen Sprache schwer!“[Gelächter]
Die Gesellschaft Kunst und Stille
Als Gründer der Gesellschaft Kunst und Stille*, stellten sie seit frühester Zeit, durch den Einfluss des Vaters, fest, dass Erziehung und Kunst wertvolle Instrumente zur Unterstützung der Gehörlosen sein können. Rimar erklärt: „Bei mir zuhause gab es viel Kultur. Mein Vater erzählte uns Geschichten aus der Bibel, von Moses, und, als ich dann in die Gehörlosenschule ging, bemerkte ich das Fehlen von Sensibilität hinsichtlich des Didaktischen, mit der Geschichte der Erziehung der Gehörlosen. Ich habe alles was ich weiß in der Familie gelernt. Von daher war ich in der Schule immer voraus gewesen. Als ich meinen Abschluss in Mathematik machte, erfand ich eine Geschichte, eine Adaptierung dazu. Ich begann ein Geschichtenerfinder zu werden, und dies führte mich dann zum Theater“.
Noch zur Rolle welche die Erziehung spielt, bestätigt Sueli, dass „die größte Schwierigkeit, die gehörlose Kinder haben, die Kommunikation mit der eigenen Familie ist. In ihr findet die erste Erziehung statt. Viele Eltern wollen sich mit ihren Kindern verständigen, sie wissen aber nicht wie. Einige „überlassen“ die Kinder der Schule und meinen dass der Lehrer ein Wunder vollbringen müsse, so als ob Taubheit eine Krankheit wäre, nur weil sie nicht richtig informiert sind. Und deswegen haben wir das Stück ‚Das Ohr’ aufgeführt“.
Sueli fährt fort: „Wir haben den Eltern Unterricht in der Taubstummensprache (LIBRAS) gegeben, und ihnen gleichzeitig beigebracht ein Theaterstück für ihre Kinder aufzuführen. Das Stück zeigt mit Humor die Realität der Gehörlosen und wie man einen Tauben anspricht. Die Zeichensprache hat mir geholfen zu sprechen. Verbietet es nicht, die Händen zu gebrauchen. Sie sind unser Hilfsmittel, unsere Sichtweise“.
LIBRAS
Am 24. April 2002 wurde das Gesetz Nr. 10.436 verabschiedet, welches die Brasilianische Zeichensprache (LIBRAS) amtlich gemacht hat. Es liegen aber diejenigen falsch, die meinen, dass diese Sprache eine Übersetzung [in Zeichen] der portugiesischen Sprache darstelle. Sie besitzt eine eigene Struktur und auch Grammatik. Rimar Segala erklärt: „Portugiesisch ist eine orale Sprache, Libras ist visuell [durch Gesten, körperlichen und Gesichts- Ausdruck] (...)“.
Was aber nur wenige wissen, ist, dass Gehörlose auch unterschiedliche Akzente haben: „Nennen wir als Beispiel den Ausdruck, der ‚Mutter’ bedeutet. Es gibt eine Reihe von linguistischen Zeichen für dieses Wort“. Und, um den Reichtum dieser Zeichensprache zu demonstrieren, signalisierte er verschiedene Formen wie man „Guten Tag“ in den unterschiedlichen Bundesländern des Landes sagt.
Die Familie vereinen
Die Realität vieler Familien analysierend, hebt Rimar hervor: „Alle Frauen möchten, wenn sie schwanger werden, ein gesundes und schönes Kind haben. Wenn es dann taub auf die Welt kommt, dann bekommen sie wegen des Unterschieds einen Schrecken und es kommt Verzweiflung auf. Ohne darauf vorbereitet zu sein, wird das gehörlose Kind wie ein hörendes behandelt. Sie merken nicht, dass dieser Unterschied lediglich eine andere Kultur darstellt. Dieses Programm ist äußerst wichtig, da es all den Müttern, die uns zuschauen Informationen übermittelt. Wenn Sie ein gehörloses Kind haben, dann, bitte, lernen Sie die Zeichensprache, verstehen Sie alle Kulturen. Diesen großen Unterschied zu respektieren, bedeutet eine außergewöhnliche Investition in die Zukunft eines Gehörlosen zu machen und die Familie zu vereinen“.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aufnahme in den Arbeitsmarkt. „Kann ein Gehörloser denn überhaupt arbeiten? Welcher Beruf ist der richtige? Kann ich das Telefon auf dem Tisch lassen? Es gibt viel Unwissen dazu. Das Stück, ‚Clowns in der Personalabteilung’, das wir geschrieben haben, zeigt die Rahmenbedingungen auf, die wir in einem Unternehmen stellen können, in dem eine Person mit auditiver Defizienz arbeitet, so fügt Rimar an.
Im Weiteren geben die beiden Schauspieler-Geschwister einige Tipps für ein harmonisches Zusammenleben: „Der Gehörlose ist visuell ausgerichtet. Es hat keinen Sinn mit ihm zu schreien, wenn er es nicht sehen kann. Wenn ein Lichtschalter in der Nähe ist, ist das Ein- und Ausschalten des Lichts ein Teil der Kultur der Gehörlosen“, so erklärt Sueli. „Oder gehen Sie einfach nah an ihn heran und rufen Sie ihn. Auch ist es wichtig, dass alle Angestellten wenigstens die Grundlagen der Zeichensprache beherrschen. ‚Hallo, wie geht’s’ ist eine Begrüßung, die uns fühlen lässt, in die Gesellschaft integriert zu sein“, so fügt Rimar hinzu.
Zum Abschluss verrät uns der Schauspieler Rimar Segala die Koinzidenz bezüglich des Abbildes Jesu, des Ökumenischen Christus, das durch die LGW weit verbreitet ist. „Von klein auf habe ich im Fernsehen immer das so wichtige Symbol des Bildes Jesu Christi gesehen. Dasselbe Bild sah ich heute auch hier. Ich möchte mich bei der LGW bedanken, denn es ist für ganz Brasilien fundamental an Inklusion zu denken. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Meinen Glückwunsch!“.
Ich bin Ihnen dankbar für so viel Beharrlichkeit und Mut. Es ist eine Lebenserfahrung die viele Menschen inspirieren wird, denn es ist die unglaubliche Reise in ein lautloses Universum, aber voller ausdrucksstarker Töne in der Seele derjenigen, die mit dem Ohr des Herzen zu hören vermögen.
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